Das architektonische werk
von Le Corbusier im welterbe

Argentinien

Einfluss des architektonischen Werks von Le Corbusier in den am Welterbe beteiligten Staaten

Der internationale Einfluss des architektonischen Werks von Le Corbusier ist einzigartig, nicht nur in den elf Ländern, in denen er Bauten errichtete, sondern ebenso dort, wo er Planungen durchführte, und weltweit vor allem durch die Wirkung seiner Schriften und Vorträge. Es wäre ein vergebliches Unterfangen, wollte man darüber ein vollständiges Bild zeichnen.

Wir beschränken uns hier deshalb darauf, den Einfluss in jenen Ländern darzustellen, die an diesem Welterbeantrag mitgewirkt haben. Festzuhalten ist jedoch, dass der Einfluss dieses Werks in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im ganzen Architekturgeschehen spürbar ist, sowohl in der Art zu bauen als auch in den Veränderungen des Architektenberufs und dessen Internationalisierung.

Argentinien

Die Beziehungen zwischen Le Corbusier und Südamerika entwickelten sich über mehr als vierzig Jahre hinweg. Anfang der 1920er Jahre wurde in den kulturellen Kreisen der großen Städte Lateinamerikas die Bewegung der internationalen Avantgarde mit großem Interesse verfolgt, einige Künstler standen in ständiger Verbindung mit diesen Strömungen in Europa. Le Corbusiers Interesse an Südamerika wurde wohl von Blaise Cendrars geweckt, der ebenso wie Le Corbusier aus La Chaux-de-Fonds stammte. Lange vor seiner ersten Südamerikareise hatte Le Corbusier berufliche Kontakte dorthin geknüpft und stand in Verbindung mit Persönlichkeiten wie dem brasilianischen Schriftsteller Paulo Prado oder dem Chilenen Sergio Larrain.

Die Reise von 1929 war dann der erste direkte Kontakt mit diesem Kontinent und führte zu einer höchst bemerkenswerten gegenseitigen Beeinflussung. Le Corbusier kam auf Einladung der Gesellschaft der Kunstfreunde nach Buenos Aires, um dort eine Reihe von zehn Vorträgen zu halten. Den Anstoß dazu gab Victoria Ocampo, die auch die Vorträge förderte und organisierte. Le Corbusier besuchte bei dieser Gelegenheit auch Brasilien.

Der Kontakt zu Victoria Ocampo führte zu einigen Projekten, von denen allerdings keines realisiert wurde. Zu nennen sind vor allem die Villa Ocampo (1928) und ein kleines Hochhaus in Palermo, einem Stadtteil von Buenos Aires. Im Zuge seiner Reisen in Südamerika entstanden noch weitere Projekte, so die Villa Martinez de Hoz (1930, Buenos Aires) und insbesondere die Villa Errazuriz (1930, Zapallar, Chile).

1936, sieben Jahre nach seiner ersten Reise, kehrte Le Corbusier nach Brasilien zurück und beriet eine von Lucio Costa geleitete Architektengruppe, die mit dem Bau des Gesundheitsministeriums in Rio de Janeiro (1936–1945) betraut worden war. Dieses Gebäude wird seither als Beginn der modernen Architektur in Brasilien betrachtet.

Im Oktober 1937 bekam Le Corbusier Besuch von zwei jungen argentinischen Architekten, Juan Kurchan und Jorge Ferrai Hardoy. Sie waren am Ende ihrer Ausbildung auf Reisen und wollten mit Le Corbusier zusammenarbeiten. Dieser vertraute ihnen die Ausarbeitung eines Stadtentwicklungsplans für Buenos Aires an, der allerdings trotz offizieller Kontakte erfolglos blieb.

Le Corbusier beschäftigte sich 1939 auch mit Studien für die Städte Chillián und Santiago de Chile und entwarf einen Plan für Bogotá, der Hauptstadt Kolumbiens. Allerdings wurde keines dieser Projekte umgesetzt.

Nach dem Aufenthalt in Argentinien vergingen zwanzig Jahre bis Le Corbusier mit dem Bau des Hauses für Doktor Curutchet in La Plata beauftragt wurde, dem einzigen je von Le Corbusier errichteten Bauwerk in Lateinamerika. Spätere Planungen waren demgegenüber alle mit Brasilien verknüpft: das Studentenwohnheim Maison du Brésil auf dem Campus der Cité universitaire internationale in Paris und der Entwurf von 1964 für die französische Botschaft in Brasilia, der allerdings nicht ausgeführt wurde.

Der Einfluss Le Corbusiers auf die Weiterentwicklung von Architektur und Städtebau in Südamerika reicht erkennbar weiter als derjenige anderer Größen der Modernen Bewegung. Seine frühzeitigen Beziehungen, seine zahlreichen Reisen und die vielen Projekte für diese Region mögen die Erklärung dafür sein. Die Bedeutung und die große Anziehungskraft seiner Person, die durch die Verbreitung seiner Schriften und Entwürfe noch verstärkt wurden, beeindruckten die Öffentlichkeit. Das zeigte sich auch in der Zahl der südamerikanischen Mitarbeiter in seinem Büro in der Rue de Sèvres: die Argentinier Juan Kurchan und Jorge Ferrari, die Kolumbianer Germán Samper und Rogelio Salmona, die Uruguayer Carlos Gómez Gavazzo und Justino Serralta, sowie die Chilenen Roberto Dávila, Roberto Matta, Emilio Duhart und Guillermo Jullian de la Fuente.

Vermutlich wurde der Einfluss Le Corbusiers zuerst in Brasilien spürbar. Aufgrund ihrer Erfahrungen mit Corbusier während dessen Aufenthalts 1936 entwickelten brasilianische Architekten einen eigenen architektonischen Ausdruck, der sich erstmals in den 1940er Jahren mit den von Oscar Niemeyer in Pampulha entworfenen Bauten zeigte. Mit der neuen Hauptstadt Brasilia, Weltkulturerbe seit 1987, gelang den beiden Hauptvertretern der brasilianischen Architektur, Lucio Costa und Oscar Niemeyer, die herausragendste Schöpfung südamerikanischen Städtebaus im 20. Jahrhundert. Damit brachten sie die Lehren und Theorien Le Corbusiers und der Congrès Internationaux d’Architecture Moderne (CIAM) zu ihrem vollkommensten Ausdruck.

In Argentinien zeigt sich der Einfluss Le Corbusiers am unmittelbarsten in der Arbeit der 1939 gegründeten Gruppe Austral. Die wichtigsten Protagonisten waren Juan Kurchan und Jorge Ferrari Hardoy und der Katalane Antoni Bonet, der eine Zeitlang in der Rue de Sèvres arbeitete, bevor er sich in Argentinien niederließ.

Das Werk von Bonet gab der argentinischen Architektur neue Anstöße. Nachdem die Anfänge der modernen Architektur in den 1930er Jahren stark unter dem Einfluss aus Deutschland standen, setzte Bonet mit seinem 1939 in Buenos Aires errichteten Gebäude ein durchdachteres Konzept und eine neuartigere Ästhetik dagegen, in denen sich auch einige der Fünf Punkte Le Corbusiers fanden. Kurchan und Ferrari griffen mit einem 1942 errichteten Gebäude in der Virrey del Pino in Buenos Aires neue Prinzipien Le Corbusiers zum kollektiven Wohnen auf und übertrugen sie ins lokale Umfeld. Amancio Williams, trotz des kleinen Umfangs seines gebauten Werks einer der großen Gestalter der lateinamerikanischen Architektur, fügte mehreren seiner Gebäude Elemente der Poesie von Le Corbusier hinzu, zu sehen etwa bei der Casa del Puente (Brückenhaus) von 1942.

Daneben zeigt sich bei einigen argentinischen Gebäuden der 1950er Jahre der Einfluss des Brutalismus Le Corbusiers, so bei den Bauten des Büros SEPRA (Sánchez Elía, Peralta Ramos und Agostini) und jenen von Clorindo Testa sowie in einigen im nordöstlichen Landesteil realisierten Gebäuden der Architekten Soto und Rivarola. Auch einige in den frühen 1950er Jahren von der argentinischen Post in mehreren Städten errichteten Gebäude sind erkennbar von Le Corbusier beeinflusst.

In Chile drückt sich die Bedeutung Le Corbusiers vor allem im Werk von Emilio Duhart aus. Bei seinem Gebäude von 1960 für die Vereinten Nationen in Santiago brachte Duhart seine bei Le Corbusier gewonnenen Erfahrungen ein und suchte eine Verbindung von Sprache und Prinzipien moderner Architektur mit lokalen Traditionen und geografischen Gegebenheiten. In Mexiko zeigte sich der Einfluss Le Corbusiers 1930, als Juan O’Gorman das Haus für das Malerpaar Diego Rivera und Frida Kahlo in einem Wohnviertel von Mexiko-Stadt, entwarf. Dieses Haus, das viele Ähnlichkeiten mit dem Atelierhaus von Ozenfant in Paris aufweist, ist ganz offensichtlich vom Purismus geprägt.

Der Austausch zwischen Le Corbusier und Südamerika war intensiv und wechselseitig und hinterließ Spuren auf beiden Seiten. So ist es durchaus wahrscheinlich, dass die Landschaft, der Himmel und die Begeisterungsfähigkeit seiner südamerikanischen Anhänger als Inspirationsquelle für die Poesie Le Corbusiers dienten. Obwohl der Großteil seiner Projekte nie gebaut wurde, konnte der Kontakt mit Le Corbusier in Südamerika einen Geist der Erneuerung, des Experimentierens und der Entdeckung neuer Möglichkeiten zur Verbesserung menschlichen Lebens wecken. Dabei verband sich Innovation mit Tradition.

Einfluss und Erbe Le Corbusiers in La Plata

Angeregt durch deutsche Architekturzeitschriften, nahm die moderne Architektur in La Plata ihren Anfang in den 1930er Jahren. Der Ingenieur Antonio Vilar war einer der wesentlichen Vorkämpfer der Moderne in Argentinien. Sein Zusammentreffen mit Le Corbusier bei dessen Reise von 1929 hatte große Bedeutung beim Übergang zur modernen Architektur. Deshalb war die Arbeit Le Corbusiers in La Plata schon vor dem Bau des Hauses Curutchet bekannt.

Der Bau dieses Hauses wurde indessen als ein besonderes Ereignis wahrgenommen und erregte große Aufmerksamkeit bei Architekten und Studierenden. Schon während der Bauarbeiten wurde das Haus für sie zum Wallfahrtsort, sie pilgerten nicht nur aus La Plata, sondern auch aus Buenos Aires und anderen argentinischen Städten dorthin.

In La Plata lässt sich der Einfluss des Hauses Curutchet an mehreren Gebäuden ablesen, so vor allem am Ministerium für Tiefbauarbeiten der Provinz Buenos Aires, das Anfang der 1950er Jahre entstand, an der Erweiterung der Bank der Provinz Buenos Aires, Ende der 1960er Jahre mit brutalistischen Ausdrucksmitteln entworfen, und zuletzt am Haus des Architekten Ruben Pesci (1970).

Die Restaurierung des Hauses Curutchet und seine Öffnung für das Publikum im Jahr 1997 hat das Interesse für dieses einzigartige Beispiel moderner Architektur in Lateinamerika neu entfacht. Architekten, Studierende und Architekturliebhaber reisen aus aller Welt an, um dieses Gebäude zu besuchen. Es wurde zur Quelle permanenter Inspiration und dient dem Verständnis nicht nur der Gedanken und architektonischen Praktiken Le Corbusiers, sondern auch der Frage, wie sich moderne Architektur in ein traditionelles städtisches Umfeld einfügen lässt.

Argentinien Le Corbusier 1950 in Bogotá mit Josep Lluís Sert und P. L. Wiener
Argentinien Le Corbusier 1950 in Bogotá mit Josep Lluís Sert und P. L. Wiener
Argentinien Skizze zur Stadtentwicklung von Rio de Janeiro als Luftbild, Vortrag in Rio am 9. Dezember 1929, veröffentlicht 1930 in: Précisions sur un état présent de l’architecture et de l’urbanisme